Freitag, 28. Juli 2023

Im Reich des Borkenkäfers


Der Regen hat aufgehört meine Wanderungen zu behindern. Schüchtern lugt die Sonne zwischen den immer noch dunklen Wolken hervor. Sofort wird mir warm, denn ich bin auf Kälte und Regen eingestellt. Doch am Himmel setzt sich das Blau durch, auf das ich seit Tagen warte.

Ich bin unterwegs zur großen Kreuzung an der Buchenparkhalle, um den Weg in den Lindigtgrund zu nehmen. Ich will ein letztes Mal hinab an die Kirnitzsch, will gemächlich an ihrem Ufer entlangspazieren, um dann irgendeinen Weg zurück nach Hinterhermsdorf aufzusteigen. Ich probiere einen anderen Weg im Dorf als gestern und lande unverhofft auf einen Panoramaweg, am Infopunkt Beize-Haus, der den Wanderer weiträumig durch die Themenwelt der Waldhusche führt. Die Waldhusche tradiert einen alten Begriff des Flößerhandwerks, der Rutsche oder Husche, auf der die geernteten Baumstämme einst im steilen Gelände talwärts transportiert wurden. Diese Huschen endeten an Bächen oder Flüssen, wie der Kirnitzsch, auf der sie weiter hinunter an die Elbe getriftet wurden. Jetzt trägt ein Themenpark des Nationalparkzentrums Sächsische Schweiz in der waldreichen Umgebung von Hinterhermsdorf diesen Namen, durch den auf einem Waldkundepfad, einem Abenteuerpfad oder einem Naturgenusspfad spaziert, gewandert oder manches Interessante entdeckt werden kann.

Dienstag, 13. Juni 2023

Tiefer Grund, lichte Höhen


Wandern ist die schönste Gelegenheit, Zeit zu verbringen, und alles andere dem Zufall zu überlassen. Alle Welt spricht davon, Geld zu verschwenden, doch Geld ist nichts dagegen Zeit zu haben. Weit mehr Befriedigung liegt darin, Zeit zu verschwenden. Auch wenn es unglaublich klingt, jedermanns Alltag bietet dazu Gelegenheiten.

Gestern Nachmittag hat es das letzte Mal geregnet. Doch es ist noch nicht vorbei. Nach einer trockenen Wanderung komme ich nachmittags im strömenden Regen zurück in meine Wanderhütte. Eine freundliche Dame im Haus des Gastes in Bad Schandau drückte mir vor ein paar Tagen beim Abschied noch schnell einen Flyer des Nationalparks Sächsische Schweiz in die Hand: Wandern im Wald, und wie sie mir verschwörerisch zuflüsterte, auf eigene Gefahr. Beim Frühstück heute Morgen warf ich einen Blick in den Flyer, und sah, dass ich in der Region des Nationalparks Sächsische Schweiz gelandet war, die der Flyer als gefährlich bezeichnet. Spontan suchen mich Fantasien von über mir brechenden Ästen und blockierten Wegen heim, die nur über rutschige Hänge zu umgehen sind. Außerdem fällt mir rechtzeitig ein, brannte doch vor kurzen der Wald jenseits der Grenze, in der Böhmischen Schweiz. Wie gut, dass es in den letzten Tagen ausgiebig geregnet hat, denke ich, und muss im nächsten Augenblick über meine kleinlichen Sorgen lächeln.

Mittwoch, 8. März 2023

Regentage an der Grenze


Mittlerweile bin ich nach Hinterhermsdorf umgezogen, in ein Vorzeigedorf der Hinteren Sächsischen Schweiz, an der tschechischen Grenze. Mein Wanderquartier bei Ostrau, Gemeinschaft und Austausch mit Kletterern und Wanderern, habe ich gegen eine Wanderhütte eingetauscht, über der sich am Nachmittag die nächste Regenfront zusammenzieht. Hinterhermsdorf liegt in einer der schönsten Gegenden Sachsens, zwischen dem Oberlausitzer Bergland und dem Elbsandsteingebirge. Vor einigen Jahren bin ich durch die Oberlausitz, zwischen Zittau, Görlitz und Bautzen, gewandert, und war begeistert von Landschaft und Kultur. Weiter südlich gefällt mir die Sächsische Schweiz ebenfalls, wenn auch in einem anderen landschaftlichen Gewand. 570 Einwohner hat das Dorf mit Erholungswert an der Grenze, Ortsteil der Großen Kreisstadt Sebnitz und beliebtes Touristenziel in unmittelbarer Nähe des Nationalparks Sächsische und Böhmische Schweiz. Der Ort wurde 1445 als Siedlung Hermannstorff erstmals urkundlich erwähnt. Die harte Waldarbeit der Holzwirtschaft, von Flößerei und dem Transport des geschlagenen Holzes die Kirnitzsch hinunter zur Elbe sicherten einst die wirtschaftliche Existenz von Hermannstorff. Die Obere und Niedere Schleuse, zwischen denen die aufgestaute Kirnitzsch entlang der tschechischen Grenze heute zu einer romantischen Flussfahrt einlädt, sind letzte Zeugen der Flößerei. In früheren Jahrhunderten muss Hinterhermsdorf ein bedeutender Ort gewesen sein, ein Zentrum des regionalen und überregionalen Handels, der Menschen von nah und fern zusammenbrachte.

Mittwoch, 14. Dezember 2022

Bergpfad durch die Affensteine


Ich habe in meinem einführenden Blogbeitrag Auftakt geschrieben, dass jede Landschaft seine eigene Geschichte erzählt. Eine Landschaft besteht nicht allein aus naturräumlichen Atmosphären, sondern genauso gut aus geografischen Merkmalen und kulturellen Ereignissen. Jede Landschaft formt seine eigene Geschichte aus diesen drei Aspekten.

Inzwischen hat mich die Schönheit der Landschaft der Sächsischen Schweiz so beeindruckt, dass ich davon überzeugt bin, sie ist die Spannendste, durch die ich bisher gewandert bin. Der Wald, die Steine und Felsen sowie die mysteriösen Namen, die Felsreviere wie ein Bilderbuch illustrieren, das in meinem Kopf entsteht, faszinieren mich. Wieder einmal wird mir bewusst, wie sehr mein Wissen, und die Geschichten, die ich seit meiner Kindheit über Landschaften, Wälder, Berge und Flüsse, die sie charakterisieren, gehört habe, auch das Bild einer Landschaft prägen, in der ich noch nie gewandert bin..

Montag, 5. Dezember 2022

Reine Luft und Lebensnahrung


Ich weiß nicht, warum es mich immer wieder in den Wald zieht. Vielleicht weil ich deutsch bin? Es mag daran liegen, dass ich mit Grimms Kinder- und Hausmärchen aufgewachsen bin, gefolgt von Karl Mays Reiseerzählungen. Das war die Zeit, bevor ich erwachsen war, und eine eigene Meinung besaß.

In den gesammelten Märchen der Grimms spielt der Wald eine zentrale Rolle. Er ist ein Ort der Initiation, der Selbstfindung und des Erwachsenenwerdens. Es ist derselbe Wald, den Tacitus in der Germania beschreibt, ein locus terribili und ein Ort der Erlösung: Germanien, ein von dunklen Wäldern durchzogenes Land, wo Arminius die Römer schlug, die Kinder der offenen Landschaften und Städte. Wahrscheinlich liegt es an meiner deutschen Identität. Dass eine vom anderen zu trennen, fällt mir schwer, und es gibt auch keinen Grund mehr dazu. Dass ich Deutscher bin, kann ich nach Jahrzehnten, in denen ich in vielen Kulturen in Europa und Asien unterwegs war, ohne Kommentar oder Rechtfertigung sagen. Mit Populismus und rechtsnationaler Ideologie hat das nichts zu tun. Doch die Worte und Inhalte sind sorgfältig zu wägen, weil wieder Rattenfänger durch die Lande ziehen. Richard Symth warnt 2018 in einem Artikel des New Humanist davor, die Rechtschaffenheit des Nature Writing unhinterfragt hinzunehmen. Jenseits der grünen Debatte findet er vermehrt reaktionäre Ideen zu den Themen Umweltschutz und Klimakrise. Faschisten sind, ebenso wie Konzerne, geschickt darin, Greenwashing anzuwenden. Und er fährt fort: Der Faschismus ist ein erfolgreicher Parasit. Es gibt wenige Bereiche des modernen Lebens, in die er keinen Weg findet. Doch das ist nicht neu. Schon 2012 beklagten Christian Thiele und Marlene Weiss in der Süddeutschen Zeitung, die Unterwanderung des Biolandbaus durch Rechtsradikale. Naturschutz, Heimatschutz und Blut-und-Boden-Ideologie, schreiben sie, gehörten für die Nationalsozialisten zusammen, die zentralen Themen ihres Reichstierschutz- und Reichsnaturschutzgesetzes von 1933-1935.

Freitag, 4. November 2022

Ins Wasser gefallen


Ins Wasser gefallen sagt man, wenn veränderte Umstände etwas Kommendes verhindern. Doch nicht alles, was ins Wasser fällt, verschwindet für immer, denn die Möglichkeit, es trotzdem zu versuchen, bleibt bestehen.

Welcher Wanderweg eignet sich an einem Regentag, wenn alle Wege matschig sind, alle Steine und Felsen nass und rutschig, und wenn die Motivation, das Wanderquartier zu verlassen, nicht besonders hoch ist? Ein Weg, denke ich mir, der für dieses Wetter wie gemacht ist. Eben soll er sein, ohne nasse Felspassagen und enge Stiegen, über die ich klettern muss. Für diesen unangenehmen Tag, erscheint mir der Panoramaweg über die Dörfer Altendorf, Mittelndorf und Lichtenhain an der Hohen Straße gut geeignet. Wege durch die Sächsische Schweiz gibt es seit beinahe zweihundert Jahren. Die meisten von ihnen werden heutzutage als Wanderweg genutzt. Sie führen durch die vier Landschaftsformen, in die Geographen die Sächsische Schweiz gegliedert haben: Felsreviere mit den Plateaus, Klammen, Schluchten und Gründe, mit Türmen und Nadeln aus Sandstein, hochgelegene Ebenheiten mit solitären Tafelbergen, die wie Mythensteine die Landschaft dominieren, in Waldgebiete auf steilen Hängen und dem Elbtal, das die Sächsischen Schweiz wiederum in linkselbisch und rechtselbisch teilt. Charakterisiert wird das Elbsandsteingebirge durch gigantische Felswände, freistehende Felsen und tiefe Täler, in denen zahlreiche Bäche und ein paar kleine Flüsse talwärts rauschen, wie die Kirnitzsch und die Sebnitz. Nicht die Höhe der Felsskulpturen, wie in der Schweiz, sind das dominante Merkmal dieser Felslandschaft an der Elbe, sondern die Formenvielfalt und Zerrissenheit des mit Moos und Flechten geschmückten Sandsteins, den die Erosion zu bizarren Gebilden moduliert hat. Geografisch verteilen sich diese vier Landschaftsformen auf die kleinere Vordere Sächsische Schweiz, die höher gelegene Hintere Sächsische und Böhmische Schweiz sowie das linkselbische Bergland, das bis ins Osterzgebirge reicht.

Dienstag, 13. September 2022

Felsenwelt Schrammsteine


Wem es gefällt, und wer es dringend bedarf, der Enge und Un-Natur Berlins zu entfliehen, kann sich auf den Weg machen. In die Sächsische Schweiz, die gleich vor den Toren der Stadt liegt. Wer vergessen hat, wie sich Euphorie anfühlt, sich nicht mehr vorstellen kann, dass körperliche Anstrengung Dopamin und Serotonin ins Blut pumpt, braucht nur tief ins Felslabyrinth der Schrammsteine einzutauchen. Er wird sich wundern, wie Mensch sich fühlen kann.

Hinter meinem Wanderquartier führt ein Weg den Hang hinauf in den Wald. Ich bin früh aufgestanden. Als ich morgens aus der Tür trete, liegt die vom Tau noch feuchte Wiese in der warmen Morgensonne. Einige Meter nur, und der Weg auf die Ostrauer Ebenheit biegt steil den Hang hinauf unter die Bäume. Ein verwurzelter, mit Steinen übersäter Pfad bergan. Sehr schnell schweißtreibend, wie auf jeder anderen Wanderung auch. Habe ich mich erst einmal an die nasse Haut und das feuchte Hemd gewöhnt, macht der Schweiß mir nichts mehr aus. Meine Aufmerksamkeit wendet sich der Umgebung zu, ist schnell von der Natur um mich herum absorbiert. Ein großer Felsblock hat sich malerisch in einer steilen Serpentine niedergelassen, die nach ein paar hundert Metern in eine Landstraße mündet. Ein Fahrradweg, von Apfelbäumen gesäumt, verläuft am Straßenrand bis an den Ortsanfang von Ostrau. Nicht weit entfernt sehe ich die Schrammsteine durch morgendliche Dunstschleier, wie durch verregnete Fenster, von denen kondensierte Tropfen abperlen. Etwas abseits von ihnen, die schroffen Klippen des Falkensteins. Das Objekt meiner Begierde, zum Greifen nahe. Meine innere Spannung steigt, lange bevor ich selbst bergwärts wandere. Ich spüre mein Herz vor Aufregung schneller schlagen. Diesem Moment habe ich entgegengefiebert.

Freitag, 9. September 2022

Auftakt


Die Sächsische Schweiz ist das im südöstlichen Sachsen liegende Gebiet des Elbsandsteingebirges, dass sich auf tschechischer Seite als Böhmische Schweiz fortsetzt, eine einst zusammenhängende Sandsteintafel der Kreidezeit. Im Tertiär stieg basaltische Lava aus dem Untergrund auf, drang an vielen Stellen durch den Sandstein und bildete Vulkankegel. Die Erosion übernahm in Jahrmillionen den Rest, zerteilte den weichen Sandstein in Klüfte, Riffe und Blöcke, formte den Basalt zu Bergkegeln, und modulierte eine einzigartige Landschaft, die mannigfaltige Möglichkeiten bietet zu wandern: allein oder in Gemeinschaft. Bequeme, malerische Waldwege für Jedermann, an der Basis der schroffen, zerklüfteten Felsmassive entlang, in deren Oberfläche der aufmerksame Wanderer manches Gesicht hineinspintisieren kann, oft entlang kleiner Gewässer, die alle zur Elbe streben, führen den Wanderer in Schleifen um die Schrammsteine, die Affensteine oder den Großen Zschand, die großen Felslabyrinthe der Hinteren Sächsischen Schweiz.