Mittwoch, 14. Dezember 2022

Bergpfad durch die Affensteine


Ich habe in meinem einführenden Blogbeitrag Auftakt geschrieben, dass jede Landschaft seine eigene Geschichte erzählt. Eine Landschaft besteht nicht allein aus naturräumlichen Atmosphären, sondern genauso gut aus geografischen Merkmalen und kulturellen Ereignissen. Jede Landschaft formt seine eigene Geschichte aus diesen drei Aspekten.

Inzwischen hat mich die Schönheit der Landschaft der Sächsischen Schweiz so beeindruckt, dass ich davon überzeugt bin, sie ist die Spannendste, durch die ich bisher gewandert bin. Der Wald, die Steine und Felsen sowie die mysteriösen Namen, die Felsreviere wie ein Bilderbuch illustrieren, das in meinem Kopf entsteht, faszinieren mich. Wieder einmal wird mir bewusst, wie sehr mein Wissen, und die Geschichten, die ich seit meiner Kindheit über Landschaften, Wälder, Berge und Flüsse, die sie charakterisieren, gehört habe, auch das Bild einer Landschaft prägen, in der ich noch nie gewandert bin..

Montag, 5. Dezember 2022

Reine Luft und Lebensnahrung


Ich weiß nicht, warum es mich immer wieder in den Wald zieht. Vielleicht weil ich deutsch bin? Es mag daran liegen, dass ich mit Grimms Kinder- und Hausmärchen aufgewachsen bin, gefolgt von Karl Mays Reiseerzählungen. Das war die Zeit, bevor ich erwachsen war, und eine eigene Meinung besaß.

In den gesammelten Märchen der Grimms spielt der Wald eine zentrale Rolle. Er ist ein Ort der Initiation, der Selbstfindung und des Erwachsenenwerdens. Es ist derselbe Wald, den Tacitus in der Germania beschreibt, ein locus terribili und ein Ort der Erlösung: Germanien, ein von dunklen Wäldern durchzogenes Land, wo Arminius die Römer schlug, die Kinder der offenen Landschaften und Städte. Wahrscheinlich liegt es an meiner deutschen Identität. Dass eine vom anderen zu trennen, fällt mir schwer, und es gibt auch keinen Grund mehr dazu. Dass ich Deutscher bin, kann ich nach Jahrzehnten, in denen ich in vielen Kulturen in Europa und Asien unterwegs war, ohne Kommentar oder Rechtfertigung sagen. Mit Populismus und rechtsnationaler Ideologie hat das nichts zu tun. Doch die Worte und Inhalte sind sorgfältig zu wägen, weil wieder Rattenfänger durch die Lande ziehen. Richard Symth warnt 2018 in einem Artikel des New Humanist davor, die Rechtschaffenheit des Nature Writing unhinterfragt hinzunehmen. Jenseits der grünen Debatte findet er vermehrt reaktionäre Ideen zu den Themen Umweltschutz und Klimakrise. Faschisten sind, ebenso wie Konzerne, geschickt darin, Greenwashing anzuwenden. Und er fährt fort: Der Faschismus ist ein erfolgreicher Parasit. Es gibt wenige Bereiche des modernen Lebens, in die er keinen Weg findet. Doch das ist nicht neu. Schon 2012 beklagten Christian Thiele und Marlene Weiss in der Süddeutschen Zeitung, die Unterwanderung des Biolandbaus durch Rechtsradikale. Naturschutz, Heimatschutz und Blut-und-Boden-Ideologie, schreiben sie, gehörten für die Nationalsozialisten zusammen, die zentralen Themen ihres Reichstierschutz- und Reichsnaturschutzgesetzes von 1933-1935.

Freitag, 4. November 2022

Ins Wasser gefallen


Ins Wasser gefallen sagt man, wenn veränderte Umstände etwas Kommendes verhindern. Doch nicht alles, was ins Wasser fällt, verschwindet für immer, denn die Möglichkeit, es trotzdem zu versuchen, bleibt bestehen.

Welcher Wanderweg eignet sich an einem Regentag, wenn alle Wege matschig sind, alle Steine und Felsen nass und rutschig, und wenn die Motivation, das Wanderquartier zu verlassen, nicht besonders hoch ist? Ein Weg, denke ich mir, der für dieses Wetter wie gemacht ist. Eben soll er sein, ohne nasse Felspassagen und enge Stiegen, über die ich klettern muss. Für diesen unangenehmen Tag, erscheint mir der Panoramaweg über die Dörfer Altendorf, Mittelndorf und Lichtenhain an der Hohen Straße gut geeignet. Wege durch die Sächsische Schweiz gibt es seit beinahe zweihundert Jahren. Die meisten von ihnen werden heutzutage als Wanderweg genutzt. Sie führen durch die vier Landschaftsformen, in die Geographen die Sächsische Schweiz gegliedert haben: Felsreviere mit den Plateaus, Klammen, Schluchten und Gründe, mit Türmen und Nadeln aus Sandstein, hochgelegene Ebenheiten mit solitären Tafelbergen, die wie Mythensteine die Landschaft dominieren, in Waldgebiete auf steilen Hängen und dem Elbtal, das die Sächsischen Schweiz wiederum in linkselbisch und rechtselbisch teilt. Charakterisiert wird das Elbsandsteingebirge durch gigantische Felswände, freistehende Felsen und tiefe Täler, in denen zahlreiche Bäche und ein paar kleine Flüsse talwärts rauschen, wie die Kirnitzsch und die Sebnitz. Nicht die Höhe der Felsskulpturen, wie in der Schweiz, sind das dominante Merkmal dieser Felslandschaft an der Elbe, sondern die Formenvielfalt und Zerrissenheit des mit Moos und Flechten geschmückten Sandsteins, den die Erosion zu bizarren Gebilden moduliert hat. Geografisch verteilen sich diese vier Landschaftsformen auf die kleinere Vordere Sächsische Schweiz, die höher gelegene Hintere Sächsische und Böhmische Schweiz sowie das linkselbische Bergland, das bis ins Osterzgebirge reicht.

Dienstag, 13. September 2022

Felsenwelt Schrammsteine


Wem es gefällt, und wer es dringend bedarf, der Enge und Un-Natur Berlins zu entfliehen, kann sich auf den Weg machen. In die Sächsische Schweiz, die gleich vor den Toren der Stadt liegt. Wer vergessen hat, wie sich Euphorie anfühlt, sich nicht mehr vorstellen kann, dass körperliche Anstrengung Dopamin und Serotonin ins Blut pumpt, braucht nur tief ins Felslabyrinth der Schrammsteine einzutauchen. Er wird sich wundern, wie Mensch sich fühlen kann.

Hinter meinem Wanderquartier führt ein Weg den Hang hinauf in den Wald. Ich bin früh aufgestanden. Als ich morgens aus der Tür trete, liegt die vom Tau noch feuchte Wiese in der warmen Morgensonne. Einige Meter nur, und der Weg auf die Ostrauer Ebenheit biegt steil den Hang hinauf unter die Bäume. Ein verwurzelter, mit Steinen übersäter Pfad bergan. Sehr schnell schweißtreibend, wie auf jeder anderen Wanderung auch. Habe ich mich erst einmal an die nasse Haut und das feuchte Hemd gewöhnt, macht der Schweiß mir nichts mehr aus. Meine Aufmerksamkeit wendet sich der Umgebung zu, ist schnell von der Natur um mich herum absorbiert. Ein großer Felsblock hat sich malerisch in einer steilen Serpentine niedergelassen, die nach ein paar hundert Metern in eine Landstraße mündet. Ein Fahrradweg, von Apfelbäumen gesäumt, verläuft am Straßenrand bis an den Ortsanfang von Ostrau. Nicht weit entfernt sehe ich die Schrammsteine durch morgendliche Dunstschleier, wie durch verregnete Fenster, von denen kondensierte Tropfen abperlen. Etwas abseits von ihnen, die schroffen Klippen des Falkensteins. Das Objekt meiner Begierde, zum Greifen nahe. Meine innere Spannung steigt, lange bevor ich selbst bergwärts wandere. Ich spüre mein Herz vor Aufregung schneller schlagen. Diesem Moment habe ich entgegengefiebert.

Freitag, 9. September 2022

Auftakt


Die Sächsische Schweiz ist das im südöstlichen Sachsen liegende Gebiet des Elbsandsteingebirges, dass sich auf tschechischer Seite als Böhmische Schweiz fortsetzt, eine einst zusammenhängende Sandsteintafel der Kreidezeit. Im Tertiär stieg basaltische Lava aus dem Untergrund auf, drang an vielen Stellen durch den Sandstein und bildete Vulkankegel. Die Erosion übernahm in Jahrmillionen den Rest, zerteilte den weichen Sandstein in Klüfte, Riffe und Blöcke, formte den Basalt zu Bergkegeln, und modulierte eine einzigartige Landschaft, die mannigfaltige Möglichkeiten bietet zu wandern: allein oder in Gemeinschaft. Bequeme, malerische Waldwege für Jedermann, an der Basis der schroffen, zerklüfteten Felsmassive entlang, in deren Oberfläche der aufmerksame Wanderer manches Gesicht hineinspintisieren kann, oft entlang kleiner Gewässer, die alle zur Elbe streben, führen den Wanderer in Schleifen um die Schrammsteine, die Affensteine oder den Großen Zschand, die großen Felslabyrinthe der Hinteren Sächsischen Schweiz.