Dienstag, 13. September 2022

Felsenwelt Schrammsteine


Wem es gefällt, und wer es dringend bedarf, der Enge und Un-Natur Berlins zu entfliehen, kann sich auf den Weg machen. In die Sächsische Schweiz, die gleich vor den Toren der Stadt liegt. Wer vergessen hat, wie sich Euphorie anfühlt, sich nicht mehr vorstellen kann, dass körperliche Anstrengung Dopamin und Serotonin ins Blut pumpt, braucht nur tief ins Felslabyrinth der Schrammsteine einzutauchen. Er wird sich wundern, wie Mensch sich fühlen kann.

Hinter meinem Wanderquartier führt ein Weg den Hang hinauf in den Wald. Ich bin früh aufgestanden. Als ich morgens aus der Tür trete, liegt die vom Tau noch feuchte Wiese in der warmen Morgensonne. Einige Meter nur, und der Weg auf die Ostrauer Ebenheit biegt steil den Hang hinauf unter die Bäume. Ein verwurzelter, mit Steinen übersäter Pfad bergan. Sehr schnell schweißtreibend, wie auf jeder anderen Wanderung auch. Habe ich mich erst einmal an die nasse Haut und das feuchte Hemd gewöhnt, macht der Schweiß mir nichts mehr aus. Meine Aufmerksamkeit wendet sich der Umgebung zu, ist schnell von der Natur um mich herum absorbiert. Ein großer Felsblock hat sich malerisch in einer steilen Serpentine niedergelassen, die nach ein paar hundert Metern in eine Landstraße mündet. Ein Fahrradweg, von Apfelbäumen gesäumt, verläuft am Straßenrand bis an den Ortsanfang von Ostrau. Nicht weit entfernt sehe ich die Schrammsteine durch morgendliche Dunstschleier, wie durch verregnete Fenster, von denen kondensierte Tropfen abperlen. Etwas abseits von ihnen, die schroffen Klippen des Falkensteins. Das Objekt meiner Begierde, zum Greifen nahe. Meine innere Spannung steigt, lange bevor ich selbst bergwärts wandere. Ich spüre mein Herz vor Aufregung schneller schlagen. Diesem Moment habe ich entgegengefiebert.
Doch das ist erst der Anfang. Die Ostrauer Scheibe, die Ebenheit, auf der das Dorf Ostrau oberhalb von Bad Schandau liegt, streife ich nur kurz. Dann stürzt ein Pfad hinab in die Klüftel, auf unregelmäßigen, vermoderten Stufen im Gelände, in eine kleine Felsenschlucht, in ein Gewirr aus Farnen, kniehohen Sträuchern und Moosen, aus denen Nässe schmatzend quillt, wenn ich kurz auf sie trete. Die ersten Pilze sprießen aus dem Grund. Wer weiß, ob sie essbar sind. Die Felswände am Wegesrand überzieht ein Hauch grüner Flechten, und Moose wachsen in den Ritzen und Spalten des Steins, ein malerischer Dekor, den meine Fantasie zu verwunschenen Bildern montiert. Eine Romanze von Eichendorff kommt mir in den Sinn, Der stille Grund heißt das Gedicht, in dem für diesen Augenblick die passenden Zeilen stehen: Ich aber stand erschrocken / Denn über Wald und Kluft / Klangen die Morgenglocken / Schon ferne durch die Luft. // Und hätt` ich nicht vernommen / Den Klang zu guter Stund` / Wär‘ nimmer mehr gekommen / Aus diesem stillen Grund. Eine romantisch verbrämte Illusion von Wildheit, etwas, das es in Deutschland nicht mehr wirklich gibt. Es benötigt einen Augenblick des Loslassens, des stillen Verweilens, und ich glaube mich aus menschengemachter Landschaft zurück in die ungestörte Natur versetzt. Noch weiß ich es nicht, doch in den nächsten Tagen wird sich diese Illusion immer wieder einstellen. Obwohl ich genau weiß, dass ich nicht in der Wildnis bin, betrügt meine Fantasie listig meinen Verstand. Die enge, dämmrige Schlucht endet auf einer sonnengefluteten Lichtung, im Zahnsgrund, in dem sich Wege kreuzen, eine Landstraße verläuft und Schrebergärten von Zivilisation künden. Der Name hat nichts mit Zähnen oder Zahnen zu tun. Er basiert auf einer mittelalterlichen Wurzel, zannen, was spalten oder klaffen bedeutet. Eine Karte vom 1592 nennt den Graben zan grund. Der Name spielt auf einen Landschaftstyp an, dem ich in der Sächsischen Schweiz noch häufig begegnen werde, wobei der Zahnsgrund die harmloseste ihrer Varianten darstellt. Doch es ist der erste Tag meiner Wanderungen in der Sächsischen Schweiz, und ich bin zufrieden damit, wie es beginnt.

Jenseits der Landstraße biegt der Weg in den wildromantischen Lattengrund ab, wie ich finde, wohl der schönste Weg zum Großen Schrammtor. Der Lattengrund ist eine Klamm, eine feuchte, verengte Felsschlucht, begrenzt von steil aufragenden Felsen, der sich durch einen Fichtenhochwald aufwärts schlängelt. Ein Bohlensteig auf sandigem Untergrund, eingesunkene Bretter und vermoderte Holzstufen, bilden einen leicht gangbaren Weg. Dann wieder ausgetretene, ungleiche Stufen, moosbewachsen und nass, zwingen mich zu umsichtigem Schritt. Glatte, von Nässe grün schimmernde Felswände ragen an beiden Seiten eng in die Höhe, bedrängen mich, und würden einem Klaustrophobiker nicht gefallen. Kaum ein Sonnenstrahl erreicht den Grund zwischen die eng stehenden Felswände. Der Weg in das Felslabyrinth Schrammsteine präsentiert sich als Felsgewirr. Es ist dämmrig hier unten, und es riecht modrig und feucht in der engen Schlucht. Moose und Farne, intensiv grün in der Nässe, die überall in der Luft hängt, wachsen überall neben dem Bretterpfad. Umgestürzte Bäume säumen den Weg, die im Nationalpark Sächsische Schweiz niemand entfernt. Keines Menschen Hand stört die Natur in ihrem Sein, sodass der Wanderer immer wieder über Hindernisse steigen muss. Das ist gut so, denn das macht eine Wanderung spannend und abwechslungsreich. Felsblöcke und bizarr geformte Steine liegen außerdem im Weg. Sie bilden Engstellen und schmale Durchlasse, durch die ich mich zwängen muss. Im Grund der Kluft habe ich es nicht bemerkt. Die Sonne hat sich mittlerweile unter dicke Wolkenpakete zurückgezogen. Sanft beginnt es zu regnen, ein Nieseln zuerst. Der Wald ringsum, ausgetrocknet von einem viel zu dürren Sommer, trinkt die Feuchtigkeit in vollen Zügen. Der spärliche Regen und die Nässe zwischen den Steinen nehmen mich mit in ihre nasse Welt. Glitschig der Boden, meine Schritte unsicher, nasse Steine, wie Fallen, die auf meine Unachtsamkeit lauern. Ich enttäusche ihr Verlangen, setze langsam Schritt für Schritt, ohne zu fallen. Zahlreiche Gerölle am Boden hindern den Gang durch die Klamm. Rechts und links streben die Felswände mit klobigen Rundungen immer enger senkrecht himmelwärts. Eine Atmosphäre wie in einem Märchen, das von Übergängen in eine andere Welt erzählt. Tropfende Wesen, glubbschäugig, grünhäutig, grotesk in Gestalt und Verhalten. Wäre ich ein Dichter, ich würde wässrige Verse schmieden.
Seit langer Zeit zu Sand gemahlener Stein bietet dem Fuß des Wanderers ein weiches Bett. Das dämmrige Grün des Lattengrunds weicht zunehmend einer sandigen Farbskala. Rings umher Kuppen und Streifen in gelbtonigem Ocker, der gelegentlich ins Rötliche ausläuft. Dazwischen immer noch grünbewachsene Felsen, auf deren Oberfläche sich Moos angesiedelt hat. Sie strotzen vor Nässe. Grauer Granit wechselt mit weicherem Sandstein ab. Zwischen solchen Felsen mäandert ein schmaler Pfad zwischen den aufragenden Felswänden, die sich zwischen Fichtenbeständen verstecken. Manchmal nur ein Durchschlupf, wie der, den der Schrammsteinwächter dem Wanderer lässt. Wandern auf Sand, zwischen Steinen, weiter auf schmalen Brettern, die in der Feuchtigkeit modern. Gelegentlich wird der Weg so eng, dass immer nur ein Fuß in den offen gebliebenen Spalt passt. Der Oberkörper folgt dem Schritt, in der Hüfte um neunzig Grad gedreht. Trotzdem schleift meine Kleidung über den feuchten Stein. Plötzlich weiten sich die Felswände. Es wird heller und mein Blick befreit sich aus der engen Kluft.

Der Lattengrund endet auf einer Hochfläche, wo sich zwei breite und ebene Forstwege, Elbleitenweg und Obrigensteig, am Fuß einer Kluft, dem Großen Schrammtor, kreuzen: der einzige Weg zur Schrammsteinaussicht. Von einem nahe gelegenen Felsenriff kann ich den Hohen und Mittleren Torstein sowie den Falkenstein im Dunst eines grauen Himmels erkennen. Mächtige Felstürme bilden das Schrammtor, eher ein Spalt zwischen zwei aufragenden Felsen, das sich wie aufgestellt über einem sandigen Plateau erhebt. Rechts die sechzig Meter hohe Felswand des Schrammtorwächters, gegenüber die glatten Wände der Ostertürme. Eine gigantische Felsgruppe, die meinen Wanderweg flankiert. Ein paar flache Stufen nur, und der Weg mündet auf die Obere Promenade. Eine Zeitlang wandere ich auf ebenem Grund, vorbei an dem freistehenden Kletterfelsen Jungfer. Nichts beengt mich mehr, denn die unheimliche Stimmung durch den Grund ist einer heiteren und beschwingten Wanderung gewichen. Selbst der anhaltende Regen fühlt sich im Freien anders an.
Der Aufstieg zur Schrammsteinaussicht entwickelt sich zu einer nie zuvor erlebten Kletterpartie in zunehmendem Sprühregen. War der Weg bis hierher bereits beeindruckend, so bin ich nicht vorbereitet, auf das was kommt. Anscheinend ist die Zeit nun reif genug, um neue Erfahrungen bereitzustellen. In den Felsen gemeißelte Stufen, gerade groß genug für den Schuh, eiserne Handgriffe, um auf der nassen und unebenen Steigung sicheren Halt zu finden. Eiserne Stufen und Leitern, die zwischen den Felswänden vor Nässe glänzen, wirken steril in ihrer Künstlichkeit. Plötzlich vergeht mir die Illusion der Wildnis und ich begreife, dass ich auf einer Route unterwegs bin, die für zahlreiche Besucher angelegt wurde. Niemand, der kein Bergsteiger ist, könnte sonst den weiteren Weg durch diese enge steile Kluft bewältigen. Ich bin ein Wanderer, der schon oft in unwegsamem Gelände unterwegs gewesen ist, aber die Etappe, die nun folgt, habe ich mir im Traum nicht vorgestellt. In der Passage, die nun folgt, verwandelt Wandern sich in Klettern. Ich steige auf in schwindelnde Höhen. Mit den Kletterhilfen des Wildschützensteigs dringe ich nach oben, in eine dunkle, tief eingeschnittene, immer steiler aufsteigende Schlucht, bis es zuletzt nur noch über Leitern weitergeht. Der Steig ist so eng und steil, dass er nur in eine Richtung gegangen werden kann. Käme mir jemand entgegenkommen, es gäbe keine Möglichkeit ihm auszuweichen. Der künstlich angelegte Steig endet auf einer schmalen Terrasse, auf der mir Bänke unter alten Eichen und Buchen etwas Schutz und Rast vor dem zunehmenden Regen bieten.
Ein letzter steiler Aufstieg noch, und ich stehe vor dem halben Dutzend Stufen, die hinauf zur Aussichtsplattform führen. Von einem Felsen mit runder Kuppe, seinen Namen kenne ich nicht, habe ich ungehindert freie Sicht über die Felsen und Riffe der Schrammsteine. Ich bin hinauf gegangen, mitten hindurch und darüber hinweg, und stehe nun oben auf Felsen, in denen die Erosion Rinnen, Mulden, Zacken und Höcker geschliffen hat. Dürre, niedrige Bergkiefern, und ein paar Birken mit dünnen Stämmen, haben ihre Wurzeln tief zwischen Rillen in die Felsen getrieben, in die sie sich verbissen krallen. Ich kann nicht verstehen, wie sie sich in dem böigen Wind halten können, der jetzt um die Felsen pfeift. Doch mutig recken sie sich dem Wind entgegen, und ich kann hören, wie sie ihm frech ins Gesicht lachen. In der Ferne der Tafelberg Lilienstein über der Elbe aufragend, der Große Winterberg im Osten, im Norden die kegelförmige Hohe Liebe und Bloßstock und der Kreuzturm, die zu den Affensteinen gehören, die im Nordosten zu sehen sind. Ganz in der Nähe ragt die zerrissene Wand des Müllersteins aus dem Wald. Felsnadeln, Felsriffe, schroffe, bizarr verwitterte Felstürme und glatte Felswände. Felsen wachsen um mich herum aus einer dicht mir Wald bedeckten Landschaft. Die meist solitären Felsen wachsen zwischen den Bäumen in die Höhe.
Die Landschaft ist spektakulär wie die Oberfläche eines fremden Planeten. Ich muss an Ursula K. Le Guins dystopischen Roman Das Wort für Welt ist Wald denken. Menschliche Kolonisatoren beuten den Waldplaneten Athshe als idealen Rohstofflieferanten aus, mit unabsehbaren Folgen für die Athsheaner, die Ureinwohner, und die Aggressoren. Die Athsheaner können sich durch die Bäume über weite Entfernungen Nachrichten übermitteln. Auf Athshe gehört die geistige Welt mit zur Gemeinschaft der Bäume, ein Gedanke, den Jahrzehnte später die Ökologin Suzanne Simard in der wissenschaftlichen Welt verankern sollte.
Die Sächsische Schweiz ist mittlerweile hoffentlich vor menschlicher Zerstörung durch Abholzung gut geschützt. Die fortschreitende Klimakrise bereitet ihrem Wald andere Probleme: Er hat den Borkenkäfer, wenn auch nicht so verbreitet wie der Wald des Harz. Von hier oben bilden die Kronen der Bäume wie eine geschlossene Decke aus. Der Schaden, den das Anthropozän der Sächsischen Schweiz bereits angetan hat, fällt mir erst in den nächsten Tagen auf, wenn ich unter dem Blätterdach und zwischen den Stämmen wandere. Der alte Wald, aus dem die Schrammsteine aufragen, ist zu einem Forst geworden, den keines Menschen Hand mehr entweiht. Totholz, wohin das Auge reicht. Vom Borkenkäfer getötete und vermodernde Baumstämme sind quer über die Wege gestützt, sodass der Wanderer klettern muss. Kräftige Äste und jede Menge kleine und größere Zweige machen es mühsam, quer durch diesen Wald zu wandern. Doch das ist ohnehin verboten. Ich bin im Nationalpark Sächsische Schweiz. Doch der ausgedehnte Waldbrand in diesem Sommer und der Mord des Borkenkäfers an den Fichten im Elbsandsteingebirge spricht eine andere Sprache, erzählt eine andere Geschichten, in denen der Schutz des Habitats keine große Rolle spielt. Der Mensch steht hilflos vor den Folgen seines Handelns. Forstökonomie und Feuerwehr sind angetreten den Schutzstatus eines Naturparks der Sächsischen Schweiz aus brandprophylaktischen Gründen zu verändern. Sie wollen im Wald aufräumen, in der Hoffnung, dies reiche aus, die Folgen der Klimakrise in der Sächsischen Schweiz zu reduzieren.

Die Ökologin Suzanne Simard hat uns in den letzten drei Jahrzehnten mit dem World Wide Wood bekannt gemacht. Ein kurioser Begriff, der nicht so recht in eine botanische Nomenklatur passen will. Robert Macfarlane schildert in seinem Buch Unterland seine Betroffenheit als er 2006 erstmals vom Internet der Bäume hörte: Aber ich konnte das Bild eines geheimnisvollen Netzwerks, das einzelne Bäume unterirdisch zu einer Wahlgemeinschaft verbindet, einfach nicht mehr vergessen. Einmal in meinen Kopf gepflanzt, hatte es Wurzeln geschlagen.
Das World Wide Wood ist ein weit verzweigtes Netzwerk von Bäumen und Bodenpilzen, ein Mykorrhiza, eine Form der Symbiose, bei der ein Pilz mit dem Feinwurzelsystem einer Pflanze in Kontakt ist. Über ein solches Mykorrhiza kommunizieren benachbarte Pflanzen miteinander um sich gegenseitig zu unterstützen. Mit anderen Worten, erläutert Suzanne Simard in einem Interview mit Yale Environment 360, Bäume und Pilze reden miteinander. Pilze besitzen nicht die Fähigkeit zur Photosynthese. In einem Mykorrhiza-Netzwerk senden Pilze ihr Myzel aus, ein sich verzweigendes Geflecht fadenförmiger Zellen (Hyphen), die sich in pflanzlichen Geweben ausbreiten. Über diese Hyphen entziehen sie dem Boden Nährstoffe und Wasser, insbesondere Phosphor und Stickstoff, stellen es einer Pflanze zur Verfügung und tauschen sie mit der Pflanze durch Photosynthese hergestellte Substanzen, besonders Zucker, die die Pilze nicht herstellen können. Ein kooperatives Netzwerk, zu gegenseitigem Nutzen, eine unterirdische Pipeline, das via Mykorrhiza ein Baumwurzelsystem mit einem anderen Baumwurzelsystem verbindet, sodass Nährstoffe, Kohlenstoff und Wasser wiederum zwischen den Bäumen ausgetauscht werden kann. Suzanne Simard spricht von neuronalen Netzwerken, von forest wisdom und mother trees, ähnlich dem menschlichen Gehirn. Wir kennen solche Begriffe von indigenen, nicht-westlichen Gesellschaften, die schon immer wussten, was wir erst langsam begreifen. A forest, sagt Suzanne Simard zu Yale Environment 360, is a cooperative system. To me, using the language of "communication" made more sense because we were looking at not just resource transfers, but things like defense signaling and kin recognition signaling. We as human beings can relate to this better. If we can relate to it, then we’re going to care about it more. If we care about it more, then we’re going to do a better job of stewarding our landscapes. Nun sind diese für den Wald wichtigen Kommunikationsnetzwerke durch Klimakrise, Käferbefall und Holzeinschlag gestört. Doch, sagt sie, these networks will go on. Whether they’re beneficial to native plant species, or exotics, or invader weeds and so on, that remains to be seen.

Die Schrammsteinkette ist die langgestreckte, urwüchsige und stark zerklüftete Felsgruppe zwischen Bad Schandau und Schmilka, in der Gemarkung Ostrau, im elbwärts gelegenen Teil der Hinteren Sächsischen Schweiz. Weiter im Osten verliert sie sich in einem anderen Felslabyrinth, Affensteine genannt. Spektakulär! Fantastisch! Dramatisch! Von einem archaischen Bildhauer in Szene gesetzt. Wind und Regen, Hitze und Frost, die mächtigen Werkzeuge der Erosion, haben diese bizarre Landschaft in Jahrtausenden modelliert. Nördlich begrenzt sie das Tal der Kirnitzsch und die Hohe Liebe, im Süden und Osten die Elbe und die Affensteine. Der Name Schrammsteine soll von dem mittelalterlichen Wort schramen, aufreißen, abgeleitet worden sein. Ein treffenderes Bild kann ich für diese stark zerklüftete Felsenlandschaft nicht finden. Mit geschlossen Augen stelle ich mir vor, wie Wind und Wetter über die Felswände schrammen, klauenbewehrte Bestien, deren Krallen in jahrtausendelanger Beharrlichkeit tiefe Risse und Schnitte auf der harten Oberfläche hinterlassen. Es heißt auch, doch ich bin skeptisch, dass der Name der Felsenwelt Schrammsteine von den häufigen Verletzungen stammen soll, die man sich in diesen Felsgewirr zuziehen kann: sich die Haut aufschrammen. Das passiert dem unvorsichtigen Wanderer oder Kletterer sicherlich oft. Doch für eine Namengebung scheint mir diese Etymologie zu weit hergeholt zu sein.
Die letzten Meter über die Stufen eines felsigen Steilaufschwungs sind schnell genommen. Oben angekommen, weht ein böiger Wind den letzten Regen über den Felsgrat der Schrammsteinaussicht. Holprig gehe ich auf unebenem Felsboden hinüber auf die freistehende Kanzel. Es ist kaum Betrieb. Außer mir sind nur zwei Paare gekommen, mit denen ich mir die Aussicht teile. Unser Kontakt beschränkt sich auf die Bitte um ein gegenseitiges Foto vor einer atemberaubenden Kulisse. Die Aussicht auf die Kette der Schrammsteine ist spektakulär, und nach der anstrengenden Kletterei ein erhebendes Gefühl. Eine herrliche Aussicht auf das zerschrammte Panorama der Schrammsteine unter mir. Die schmale Felssäule im Vordergrund ist der Kletterfelsen Tante, daneben der Onkel, und rechts unten der Schwager, eigenartige Namen für Felsnadeln und Riffe. In einer Reihe, und nebeneinander angeordnet, falten sich die Ostertürme, der Schrammtorwächter, Zackenkrone, Flasche, Kesselturm, Meurerturm und Vorderer Torstein wie ein reich bebildertes Leporello vor meinen Augen auf. Etwas links davon der Panoramablick über die Kette der Torsteine bis hinab an die Elbe und in die Böhmische Schweiz, von der im Regen nur verwaschene Formen erkennbar sind. Die Torsteinkette, finde ich, bildet die imposanteste Felsformation der Schrammsteine, mit dem 425 Meter aufragenden Hohen Torstein als dem höchstem der Felstürme. Auf diesem Felsen befand sich im Mittelalter die Felsenburg Schrammsteyn der Herrschaft Wildenstein, eine Festung hoch über dem Elbtal. Felsenburgen waren in Hauptburgen und Burgwarten gegliedert, letztere zur Sicherung der Hauptburg. Die Steilhänge der Felstürme wurden vom Bewuchs freigehalten, und waren deshalb schwer zu erobern. Es gibt kaum einen Felsvorsprung, der nicht für die Verteidigung vorbereitet war, die Klüfte und Schluchten waren vermauert, Gräben und Wälle sicherten den Zugang. Solche Festungen dienten einst dem Schutz des böhmischen Territoriums gegen die Mark Meißen, mit der Streitigkeiten häufig waren. Wichtig war auch ihre Funktion in der Sicherung des Handelsstraßennetzes, das auch über unwegsame Höhenwege auf Pfaden und Steigen im Gebirge verlief. Die Festung Schrammsteyn auf dem Hohen Torstein hatte einen freien Blick nach Norden, wo die Hohe Straße Schlesien mit den Häfen der Nordsee verband.
Der mächtige Sandsteinfelsturm abseits der Torsteinkette, der achtzig Meter hohe, solitäre Falkenstein, bildet das Wahrzeichen des Schrammsteingebiets. Er ist ein weiterer Klettergipfel der Schrammsteine, den Schandauer Turner 1864 erstmals bestiegen haben, der Beginn des sächsischen Bergsteigens. Abseits der Felsgruppe, ihr vorgelagert, einsam und wie verlassen, ragt er grau und zerklüftet aus dem Baummeer. Sieht man diese imposante Landmarke von weitem in der Landschaft stehen, erinnert er an einen Wächter, an einen Boten, der etwas Besonderes ankündigt. Im Mittelalter war der Falkenstein wegen seines schwer einzunehmenden Gipfels eine weitgehend aus Holz errichtete Burgwarte, ein Beobachtungsturm, der westlichste Stützpunkt des Herrschaftsgebiets der Wildensteiner und wie die Festung Schrammsteyn zur Bewachung der Hohen Straße und des Elbhafens bei Postelwitz zuständig.
Hoch über der Welt stehend, fliegt mein Blick in die Ferne, zur Elbe hinab, hinüber in die Böhmische Schweiz, über die steinerne Welt des Schrammsteine bis sie sich im aufsteigenden Dunst über der Hinteren Sächsischen Schweiz verliert. Es fällt mir schwer, mich von diesem Anblick loszureißen. Ich könnte ewig schauen, doch der im kalten Wind zunehmende Regen vertreiben mich schließlich doch. Als ich wieder absteige, kommen mir mehrere Gruppen entgegen, und es wird voll auf der Kreuzung vor dem Wildschützensteig, wo ich eben noch unter einem Blätterdach Schutz vor dem Regen gefunden habe. Gut, früh genug aufgebrochen zu sein, freue ich mich, denn ich hatte den Blick auf die Schrammsteine eine Zeitlang für mich allein.

Über ausgetretene, unregelmäßige Stufen im steilen Gelände, die dem Berg abgerungen sind, dann über Eisentreppen und Leitern ziemlich steil durch eine enge Kluft, klettere ich nach unten in den Mittelwinkel. Zurück an den Fuß der Schrammsteine windet sich ein abschüssiger Weg durch einen Buchenhochwald auf die Hintere Promenade und zum Zeughausweg hinüber zur Hohen Liebe, einer vierhundert Meter hohen Sandsteinkuppe südlich von Mittelndorf. Ich bin zurück auf breiten, ebenen Wegen durch einen Wald aus Fichten, Buchen und Birken, Eichen und Bergahorn, der das Elbsandsteingebirge wie einen Mantel einhüllt. Das Wandern geht mir leicht von der Hand, wie man so sagt, doch muss die Redewendung eigentlich vom Fuß oder Schritt lauten. Vorbei an der Wildwiese und über den Königsplatz, zwei Orte, die eng mit der Geschichte der Sächsischen Schweiz verbunden sind, Details, die ich aussparen will. Inzwischen hat es aufgehört zu regnen, und Sonnenstrahlen zaubern helle Flecken durch die Blätter des lichten Buchenwalds. Bequemen Fußes wandere ich über den Oberen Liebenweg.

Nach der Zerrissenheit der Schrammsteine präsentiert sich die Hohe Liebe in sanfteren Formen, was vor allem daran liegt, dass der ganze Berg bewaldet ist. Den vierhundert Meter hohen Tafelberg erreicht man auf Wegen ins Kirnitzschtal, südlich begrenzt von den Schrammsteinen. Seine kegelförmige Gestalt ist für die Tafelberge des Elbsandsteingebirges ungewöhnlich. Die charakteristischen Felsengipfelreihen mit steilen Felswänden fehlen ganz.
Der Aufstieg ist nur wenig steil, und angenehm, da, ohne zu klettern zu begehen. Ausgetretene, ins Profil des Bergs gegrabene und durch Bretter gesicherte Stufen folgen einem schmalen Waldweg, der mäandernd ansteigt. Erst auf den letzten hundert Metern wird mir bewusst, dass ich einen Tafelberg besteige. In die Rundung eines Felsblocks sind Stufen gemeißelt, eine Treppe aus Stein, die mein Gleichgewicht fordert, denn einen Handlauf gibt es nicht. Ein paar Frauen wagen den Abstieg nur gebückt, um sich mit den Händen abstützen zu können. Der Gipfel liegt in der Sonne, doch im böigen Wind fühlt sich die Luft kalt an. Trotzdem brauche ich meine Regenjacke nicht mehr. Wo die Sonne schüchtern durch die ziehenden Wolken lugt, wärmt sie mir die schweißnasse Haut. Ein Kumulustanz dicker, bauschiger Wolkenpakete. Wanderer haben sich für eine Rast zwischen den Steinen niedergelassen, und fotografieren emsig die Aussicht. Es ist eng auf der von Rinnen durchzogenen Hohen Liebe, die tief eingeschnitten sind wie Narben. Nur kurze Zeit später liegt die Kuppe wieder verlassen in der Sonne. Ich bin wieder allein, und überlasse mich dem Frieden der Natur. In der Ferne rücken die Affensteine in den Blick, im nebeligen Dunst, eng aneinandergeschmiegte, spitze Riffe, die äußeren der Bloßstock und der Kreuzturm. Die Torsteinkette mit dem Falkenstein, die zu sehen sein müsste, suche ich vergebens. Den Gipfel krönt ein Mahnmal, das 1920 eingeweiht wurde: Den im Ersten Weltkrieg gefallenen Bergsteigern. Jeden Totensonntag gedenkt man an dieser Stelle mittlerweile allen bei Bergunfällen ums Leben gekommenen Bergsteigern, ein festes Datum des Bergsteigerjahrs im Klettergebiet Sächsische Schweiz.
Zurück auf den Oberen Liebenweg wandere ich nur noch bergab, so steil, dass meine Knie ächzen. Über schmale Pfade mitten durch den Wald finde ich mich plötzlich auf dem Wenzelweg wieder. Irgendwo hier muss das Scheidenbörnel gelegen haben, die versiegte Quelle, die die Burgwarte auf dem Falkenstein mit Wasser versorgte. Der Wenzelweg, ein breiter Forstweg, der mich ungeplant auf die Landstraße nach Ostrau bringt, gefällt mir als Abschluss meiner Wanderung nicht recht. Auf hartem Asphalt ruckartig zurück in die alltägliche Wirklichkeit gerissen, habe ich keine Zeit für einen sanften Abschied von der Illusion einer wilden Landschaft. Einen Augenblick verweigert mir ein trauriges Gefühl einfach weiterzugehen, so als ob nichts wäre. Ich bin beeindruckt, wie seit langem nicht, von einer Landschaft wie im Märchen. Unschlüssig stehe ich am Rand des Waldes, unsicher, was nun kommen soll.

Es ist ein viel zu langer Weg nach Ostrau und durch den Ort hindurch. Die stille und friedliche Stimmung, die Einsamkeit des Wanderns, die nur im Wald zu finden ist, weicht vor Straßen und Häusern zurück, die nur wenig Natur zulassen. Eine geordnete, strukturierte Umgebung, wie sie der moderne Mensch inzwischen braucht, um sich wohlzufühlen und zu orientieren. Kultur contra Natur, naturräumliche versus menschgemachte Atmosphären. Eine Reihe von hölzernen Villen, prächtige Häuser im Fachwerkstil, reihen sich an einer Straßenseite auf, wie die Perlen einer Schnur. Ein Passant verrät mir, dass dies die Pensionshäuser sind, die der Hotelier Rudolf Sendig Anfang des vorigen Jahrhunderts errichten ließ. Mit dem Aufkommen des Fremden- und Kurbetriebs in Bad Schandau entstand ein Sanatorium auf der Ostrauer Scheibe, und die Häuser, an denen ich staunend vorübergehe, sind die übriggebliebenen Gebäude seiner Villenkolonie Neu Schandau. Um die Kurgäste bei ihrer Ankunft am Elbufer oder Bahnhof unkompliziert auf die Ebenheit zu befördern, ließ er den elektrischen Personenaufzug bauen, der noch immer in Betrieb ist; ein beeindruckendes technisches Denkmal, zweiundsechzig Meter hoch, das hinunter ans Luchsgehege nach Bad Schandau führt. Die Tische der Schenke am Aufzug sind alle besetzt, und ich muss meinen Durst to go löschen, während ich über die fünfunddreißig Meter lange Brücke zum Aufzug gehe. Bad Schandau liegt mir zu Füßen. Der ungewöhnliche Abschluss einer Wanderung der vielen Eindrücke.


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